- Sexualpädagogik
- Se|xu|al|päd|a|go|gik auch: Se|xu|al|pä|da|go|gik 〈f.; -; unz.〉 Belehrung über die sexuellen Vorgänge, ihre biologischen Hintergründe u. die mit ihnen verbundenen ethischen u. gesundheitlichen Fragen
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Se|xu|al|pä|d|a|go|gik, die:pädagogische Disziplin, deren Aufgabe die theoretische Grundlegung der Sexualerziehung ist.* * *
ISexualpädagogik,Teilbereich der Erziehungswissenschaftlichen und der Sexualwissenschaften, der sich um die theoretische und methodische Fundierung der gezielten Entwicklungsförderung und -begleitung sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen sowie der Prävention von Fehlentwicklungen und Traumatisierungen bemüht. Als Teil der Sexualwissenschaft versucht die Sexualpädagogik, das Wissen über die psychosexuelle Entwicklung und die sexuelle Sozialisation in die schulische, familiäre und mediale Erziehungspraxis einzugliedern.Vorstellungen über entwicklungsgerechtes Sexualverhalten spielen in jeder Gesellschaft eine wichtige Rolle. Systematisch durchdachte Sexualerziehung entstand jedoch auf breiterer Basis erst im 18. Jahrhundert. Mit der Entwicklung des Bürgertums wurde auch der Sexualbereich nachdrücklich in die Erziehung aufgenommen (J. B. Basedow, C. G. Salzmann, P. Villaume). Gefördert durch die Sexualwissenschaft und Psychoanalyse (R. von Krafft-Ebing, S. Freud) und unterstützt durch die reformpädagogische Bewegung, setzten im 1. Drittel des 20. Jahrhunderts verbreitet Aktivitäten zur sexuellen Aufklärung und Erziehung ein (Max Hodann, M. Hirschfeld, W. Reich). Diese Ansätze wurden vom Nationalsozialismus gewaltsam unterdrückt; Vererbungslehre und Rassenhygiene verdrängten sexuelle Erziehung und Aufklärung. Auch nach 1945 herrschte noch lange eine rigide Tabuierung der Sexualität vor, die durch autoritative Erziehungsmaßnahmen aufrechterhalten wurde. Vorrangiges Ziel blieb bis in die 60er-Jahre die Verhinderung sexueller Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen. Charakter- und Willenserziehung, verbunden mit systematischem Informationsentzug, waren die Erziehungsprinzipien (F. W. Foerster). Sexualwissenschaft, Psychiatrie und Psychoanalyse haben das strenge Sexualtabu als Ursache tief greifender Persönlichkeitsstörungen erforscht (Freud, A. Mitscherlich, H. Giese). Auch in erziehungswissenschaftlichen Analysen wurde die sexualverneinende Pädagogik begründet kritisiert (Helmut Kentler, Friedrich Koch) und ein Konzept nicht repressiver emanzipatorischer Sexualpädagogik entwickelt.Eine moderne, ganzheitliche und entwicklungsfördernde Sexualerziehung beginnt bereits beim Umgang der Eltern/Bezugspersonen mit dem Neugeborenen und dem Kleinkind. Wichtige Voraussetzungen für die Einstellung des Kindes zu seinem Körper und zu seiner Sexualität sind: emotionale Wärme, die Förderung des Hautkontaktes beim Stillen, der Verzicht auf eine zu frühe Sauberkeitserziehung, die verständnisvolle Reaktion auf kindliche »Doktorspiele« und andere Erkundungen des Körpers sowie die freimütige Beantwortung aller kindlicher Fragen. Zur Sexualpädagogik gehören altersgemäße Informationen über die körperlichen Veränderungen in der Pubertät (Menstruation, Pollution), über Masturbation, Geschlechtsverkehr und Empfängnisverhütung, über Necking und Petting, partnerschaftlicher Umgang, Verantwortung und Solidarität.Sexualerziehung in der Schule und in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit erweitert die Fragestellungen und beantwortet sie wissenschaftlich fundiert. Die Schüler können Einsicht in sexologische Gegebenheiten gewinnen und das Fachwissen mit ethischen Einstellungen verbinden. Neben dem biologischen Wissen hat die soziale Problematik der Sexualität besonderen Vorrang. Normenprobleme, politische, religiöse, rechtliche, soziologische und medizinische Fragen erweitern das Grundwissen. Bedeutung gewann in der Sexualerziehung auch eine offenere Auseinandersetzung mit der Homosexualität, die in früheren Konzeptionen einseitig negativ abgehandelt wurde, und mit allen Aspekten von Aids.Mit der Einrichtung der schulischen Sexualerziehung reagierten die Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland 1968 auf die Forderungen der Schüler- und Studentenbewegung. Sexualerziehung soll kein eigenes Unterrichtsfach sein, sondern als Unterrichtsprinzip in den verschiedenen Fächern wahrgenommen werden (Sozialkunde, Religion, Deutsch, Biologie u. a.). Die Empfehlungen und Richtlinien blieben lange umstritten. Gegner sahen in ihnen einen Konflikt zwischen dem elterlichen und dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 6 und 7 GG). 1977 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit der schulischen Sexualerziehung. Als fächerübergreifender Unterricht ist sie nicht von der Zustimmung der Eltern abhängig. 1992 wurde mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG) erstmals das Recht auf Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung festgeschrieben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wurde beauftragt, »Konzepte zur Sexualaufklärung, jeweils abgestimmt auf die verschiedenen Alters- und Personengruppen«, zu erarbeiten. Seitdem erleben die sexualpädagogische Forschung sowie die Aus-, Weiterbildung und Praxis einen Aufschwung.G. Glück u. a.: Heiße Eisen in der Sexualerziehung (21992);Sexualerziehung u. Aids. Das Ende der Emanzipation?, hg. v. F. Koch (1992);Rahmenkonzept zur Sexualaufklärung, hg. v. der Bundeszentrale für Gesundheitl. Aufklärung (41996);Sexualpädagog. Aus- u. Fortbildung in der Bundesrep. Dtl. Wegweiser, hg. v. der Bundeszentrale für Gesundheitl. Aufklärung (21997).Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:Geschlecht und GeschlechtlichkeitSexualpädagogik,ein Teilgebiet der Erziehungswissenschaften (Pädagogik), das die Theorie der Sexualerziehung erarbeitet und an der Entwicklung geeigneter Medien für ihre Durchführung mitbeteiligt ist. Darüber hinaus dient sie der Aus- und Fortbildung von Erzieherinnen und Lehrern. Zu wenig werden dabei bis heute Kleinkinder, Eltern oder Probleme ausländischer Mitbürger berücksichtigt.Die Sexualpädagogik ist notwendigerweise interdisziplinär und muss die Erkenntnisse und Theorien aller Wissenschaften, die sich mit der menschlichen Sexualität befassen, mit einbeziehen: Psychologie, Sexualbiologie einschließlich der vergleichenden Verhaltensforschung, Völkerkunde, Sexualmedizin, Kulturgeschichte, Sexualsoziologie, Sexualethik und Strafrecht. Als Wissenschaft muss sie sich um Objektivität bemühen, kann aber nicht völlig frei von weltanschaulichen Überzeugungen sein.Grundüberzeugung der überwiegenden Zahl der Sexualpädagogen ist heute die Erkenntnis, dass der Mensch aus seiner Herkunft biologische Verhaltensstrukturen auch für sein Sexual- und Sozialverhalten hat, die durch Lernen ausgefüllt und kulturell geformt werden müssen (Primaten). Für die Sexualerziehung ergeben sich daraus folgende wichtige Themenbereiche: Umfassende altersgemäße Aufklärung und offene Beantwortung aller Fragen und Probleme der Kinder und Jugendlichen; klare und sachliche Sprache und Begriffe; Akzeptanz der kindlichen Sexualität (»Doktorspiele«) und jugendlichen Sexualverhaltens sowie der Selbstbefriedigung als natürlicher Verhaltensweise; Sexualleben als lustvolles Erlebnis unabhängig von Fortpflanzung; Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter; verantwortbare sexuelle Selbstbestimmung verbunden mit Rücksicht auf die des anderen; Einsicht in die Notwendigkeit von Regeln (Normen) für menschliches Zusammenleben, die aber kultur- und zeitabhängig sind; Wahrung des Schamgefühls und der Intimsphäre, deren Inhalte aber hinterfragbar, weil gelernt sind; Unterweisung in Empfängnisverhütung; verantwortliche Elternschaft und Bedeutung der frühkindlichen Erziehung mit emotionaler Wärme und Hautkontakt; Scheidung, Alleinerziehende, nichteheliche Partnerschaft und Kinder; Aidsprävention sowie tolerantes soziales Verhalten gegenüber HIV-Infizierten und Aidskranken; Toleranz beziehungsweise Akzeptanz der Homosexualität beider Geschlechter; Prävention des sexuellen Missbrauchs durch Stärkung der Persönlichkeit im kindlichen Alter. Die Altersgemäßheit der zu behandelnden Themen in der Sexualerziehung sollte von den Kindern und Jugendlichen bestimmt und nicht von den Erwachsenen bevormundet werden.Das Bemühen um eine wissenschaftlich fundierte Sexualpädagogik hat in den deutschsprachigen Ländern erst in den 1960er-Jahren begonnen. Anstöße dazu lieferte vor allem die Schüler- und Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre, die mit ihren Forderungen nach Enttabuierung und Liberalisierung der Sexualität die sexuelle Revolution einleitete. Mitte der 1980er-Jahre bekam die Sexualpädagogik einen zweiten starken Impuls durch die Aufgabe der Aidsprävention in Schulen und ab Beginn der 1990er-Jahre einen weiteren durch die erstmals öffentliche Diskussion des sexuellen Missbrauchs: Eine Erfolg versprechende Behandlung dieser Themen ist nur mit einer offenen, weithin tabufreien Sexualerziehung möglich.Die Sexualpädagogik spielt trotzdem innerhalb der Pädagogik und dort in der Schulpädagogik auch heute noch eine relativ geringe Rolle, da Sexualpädagogik nur an wenigen Hochschulen Forschungsgegenstand ist und gelehrt wird.* * *
Se|xu|al|pä|da|go|gik, die: pädagogische Disziplin, deren Aufgabe die theoretische Grundlegung der Sexualerziehung ist.
Universal-Lexikon. 2012.